RETTUNG UND ERHALT DES ATELIERHAUSES MENGERZEILE
RETTUNG UND ERHALT DES ATELIERHAUSES
Rede vom ehemaligen Berliner Staatssekretär für Kultur Tim Renner am 23.09.2023 auf dem 30-jährigen Jubiläumsfest des Atelierhauses:
30 Jahre Mengerzeile, das ist nicht nur schön, das ist großartig, denn das ist nicht selbstverständlich.
30 Jahre Mengerzeile sind nicht vom Himmel gefallen, die wurden erträumt, die wurden erkämpft, die wurden ertrickst, die wurden herbei gelächelt, wurden hart verhandelt.
Die Geschichte der Mengerzeile beginnt in einem anderen Berlin. In einem Berlin, welches sich in Ost und West deindustrialisierte, weil Subventionen und staatlich gesteuerte Märkte wegfielen. Raum war plötzlich reichlich da und Ideen auch. Leider hatten nicht nur Künstler:innen solche Ideen, sondern auch die Politik. Die Politik, egal ob SPD oder CDU verfiel nach der Wiedervereinigung gepflegt in Größenwahn, träumte von der fünf Millionen Metropole im Herzens Europas, wenn nicht der ganzen Welt und verschuldete damit die Stadt und ihre Bürger:innen unglaublich.
Anfang dieses Jahrtausends war Berlin dann bankrott und kurz davor in die Zwangsverwaltung des Bundes zu fallen.
Es waren Künstler:innen wie ihr, die der Stadt die Würde und eine Zukunft wiedergegeben haben. Mit „arm, aber sexy“ seid ihr gemeint. Kultur und Kreativität hat Berlin gerettet. Als Hauptstadt der bildenden Kunst, als Hauptstadt der Musik und der Clubs, als neuer Hotspot der globalen Filmwirtschaft wurde Berlin bedeutend und damit attraktiv.
Attraktiv somit auch für Investor:innen. Es griff die alte Grundregel: erst kommen die Künstler:innen, dann die Clubs, schließlich die Galerien und dann die Investor:innen, dann gehen die Künstlerinnen, die Clubs und die Galerien.
Genau das wäre auch hier passiert. Die Eigentümerin Carla Riedel verstarb und hätte es grossartig gefunden, dass ein Ort der Kreativität erst 1908 bis 1956 Pianos, dann Lager der VEB Deutsche Schallplatte, durch die Künstler:innen der Mengerzeile weiter ein Ort der Kreativen Produktion bleiben konnte.
Die Erben fanden in Christoph Höhne 2013 einen Käufer und der in Form der Künstler:innen der Mengerzeile wahrscheinlich eine unerwartete Überraschung. Der Plan war eigentlich der Übliche: Kündigen, sanieren, dreimal so teuer vermieten und somit gentrifizieren.
Die Rechnung wurde aber nicht mit Eva, Ilona und Co gemacht. Diese machten sich auf und fanden schnell ihren Weg zu BzStR Rainer Hölmer, dem Kulturstaatssekretär, dem Atelierbeauftragten, gründeten eine Aktionsgemeinschaft namens ABBa der bedrohten Künstler:innen Häuser Berlins und vieles mehr - sprich, sie traten am Beispiel Mengerzeile einen Tsunami los.
Interessant und auffällig war, wie das die Vertreter:innen der Mengerzeile taten: Man arbeitete sich nicht an Klischees ab - hier der böse Immobilienmogul, dort die ehrbaren Künstler:innen, sondern legte die Problematik klar dar und suchte dabei nach Lösungen und für diese Lösungen Verbündete.
Oh man, wie sehr würde ich mir mehr von diesem Mengerzeile-Geist gerade jetzt im öffentlichen Diskurs wünschen. Denn anders als die ständige Polarisierung führt der ergebnisoffene, hartnäckige Dialog mit allen zum Ergebnis - sonst würden wir heute nicht 30 Jahre Mengerzeile feiern können!
Das, was man in der Mengerzeile perfekt machte, war eben ganz genau zu versuchen, auch die Bedürfnisse der anderen Seite zu verstehen. Okay, da hatte jemand für ihr Haus viel Geld gezahlt und musste das irgendwie wieder zurück verdienen - zumindest das.
Man machte sich schlau, wie das bei anderen Fällen gelaufen war und fand bald das Prinzip Stiftung. Diese müssen nicht schnell Geld zurückverdienen, sondern können, solange es dem Zweck der Stiftenden entspricht, sehr langfristig investieren.
Man fand auch Eine, aber Diese fand nicht zu dem Eigentümer - oder umgekehrt. Der normale Reflex wäre jetzt den Eigentümer zu verteufeln - war doch die Lösung so nah und er potentiell Schuld, das Problem - das bringt einen in Sachen Lösung kein Stück weiter, im Gegenteil es verhärtet die Fronten.
Statt zu eskalieren, versuchte man einen neuen Lösungsweg - auch mithilfe der Stadt. Nicht indem man, wie jetzt in einem anderen Fall geschehen, die eigenen Probleme einfach sozialisiert und sich die Miete zahlen lässt, sondern in dem man versuchte, selbst zu kaufen und Banken dabei durch öffentliche Bürgschaften absichern zu lassen. Das ging damals noch nicht - heute gibt es dafür einen Fond von 15 Millionen bei der IBB - quasi ein Kollateralsieg der Mengerzeile. Die Aktivist:innen der Mengerzeile blieben unverdrossen und redeten weiter kooperativ mit dem Besitzer und dem Bezirk. Vor allem mithilfe des nicht von ihrer Seite weichenden BzStR Rainer Hölmer fand man Wege, die Ateliers und günstige Mieten abzusichern, dem Besitzer eine schnelle Umsetzung seiner Pläne ermöglichten, ihm auch Zugeständnisse einräumte und letztlich mit der künstlerischen Nutzung ein weiteres Standortargument gegenüber seinen Mietern einbrachte. Die Welt ist nicht schwarzweiss, Politik ist nicht taub, Künstler:innen nicht unfähig zum Kompromiss.
Die Geschichte der Mengerzeile ist kein Märchen, sondern der Beweis, dass Hartnäckigkeit, Vision, Solidarität und das Zugeständnis der Augenhöhe auch auf der Seite des vermeintlichen Gegners zu Lösungen führen kann.
Völker der Welt, schaut auf die Mengerzeile und Mengerzeile bleib noch lange ein Beispiel, wie Gemeinschaft und Gesellschaft geht.